Die noch nicht ausgestandene Pandemiekrise, die die öffentlichen Finanzen enorm belastet, hat auch eine Energiekrise ausgelöst und durch steigende Energie- und Lebensmittelpreise die Inflation beflügelt. Jetzt befindet sich die Welt in einer weiteren Krise, verursacht durch den Krieg in der Ukraine. Aufgrund ihrer Unberechenbarkeit ist die neue Krise besonders gefährlich für die makroökonomischen Stabilität. Serbien steht wie auch andere Länder vor schwierigen Entscheidungen, wie die Inflation eingedämmt und gleichzeitig der Wirtschaft und der Bevölkerung unter solchen Umständen geholfen werden kann.

Kurzfristig sind die Gewinner, die derzeit über die Ressourcen verfügen, die von der Weltwirtschaft am dringendsten benötigt werden, aber langfristig sind die Gewinner die Träger von Wissen, Innovation und diejenigen, die in der Lage sind, Mehrwert zu generieren. Langfristig braucht die serbische Wirtschaft ein neues Wachstumsmodell auf Basis der grünen Wende und der Digitalisierung, denn nur diejenigen, die über diese Kenntnisse verfügen, werden unter den neuen Bedingungen überleben. Deshalb sei es für heimische Unternehmen wichtig, diese Chance zu erkennen, war das Ergebnis der Konferenz „Wie resilient ist die serbische Wirtschaft gegenüber globalen Krisen und Herausforderungen?“.   

Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland und die Deutsch-Serbische Initiative für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung veranstalteten gemeinsam mit der serbischen Wirtschaftskammer am 18. Mai in Belgrad eine Konferenz zum Thema „Wie resilient ist die serbische Wirtschaft gegenüber globalen Krisen und Herausforderungen?“. Im einleitenden Teil begrüßten Marko Čadež, Präsident der Serbischen Wirtschaftskammer (WKS), Thomas Schieb, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Serbien und Siniša Mali, der serbische Finanzminister, die Teilnehmer:innen.

Die Sprecher waren sich einig, dass die Steigerung der Inflation durch steigende Energie- und Lebensmittelpreise, Unterbrechungen von Lieferketten, eine sich abzeichnende Rezession und die Unvorhersehbarkeit weiterer Auswirkungen des Krieges in der Ukraine die makroökonomische Stabilität gefährden und große Schwierigkeiten für die Wirtschaft in Serbien und Deutschland verursachen. Daher bestehen die vorrangigen Aufgaben darin, die Gas- und Ölversorgung zu diversifizieren und die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen fortzusetzen. Außerdem muss an einer stärkeren Diversifizierung der Lieferketten gearbeitet werden. Die besondere Verantwortung der Regierungen besteht darin, Maßnahmen zur Eindämmung der Inflation zu ergreifen und gleichzeitig der Wirtschaft und der Bevölkerung zu helfen, mit der neuen Krise umzugehen.

In der Konferenz wurde darauf hingewiesen, dass Deutschland mit Investitionen von drei Milliarden Euro der führende Investor in Serbien ist, während 125.000 Menschen in Unternehmen mit deutschem Kapital und damit verbundenen Unternehmen arbeiten. Wie stark Serbien auf die Zusammenarbeit mit der europäischen Wirtschaft ausgerichtet ist, belegt die Tatsache, dass bis zu 65% der serbischen Exporte in die EU gehen, was 17-mal mehr ist als die Exporte nach Russland. Unternehmen, die Geschäfte mit der EU tätigen, beschäftigen 950.000 Menschen und 70 % der gesamten ausländischen Direktinvestitionen stammen aus der Europäischen Union. Botschafter Thomas Schieb bekräftigte bei dieser Gelegenheit, dass die Integration des Westbalkans in die Europäische Union eine Priorität der deutschen Außenpolitik bleibe und deutsche Unternehmen weiterhin in langfristige Projekte in Serbien investieren würden.

EUROPÄISCHE PERSPEKTIVE VON SERBIEN

Serbien kann nur unter bestimmten Bedingungen widerstandsfähig gegen solche Krisen wie die aktuelle sein, so die Analysen von Mario Holzner, Geschäftsführender Direktor des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsstudien, und Radojka Nikolić, Wirtschaftsjournalistin und Redakteurin der Zeitschriften Ekonometar und Biznis Magazin.

Serbien ist relativ gut durch die Pandemie gekommen, vor allem weil die Wirtschaft nicht durch die am stärksten gefährdeten Sektoren dominiert wird. Die Landwirtschaft und die IT-Branche haben sich dabei als am widerstandsfähigsten erwiesen. Staatliche Hilfspakete, die 18 % des BIP überstiegen, trugen erheblich zur Milderung der Folgen bei und erhöhten die Staatsverschuldung um sechs Milliarden Euro. Die diesjährigen Indikatoren deuten darauf hin, dass die globale Krise auf Serbien überschwappt. Die größten Gefahren für die weitere Entwicklung sind geringes Wachstum und eine langsame EU-Integration, was den Abstand zur EU-Wirtschaft weiter vergrößern würde.

Serbien ist ein attaktiver Kandidat für neue Investoren, die Lieferketten diversifizieren und verkürzen wollen, vor allem, weil es in der Region in Bezug auf die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften gut positioniert ist, insbesondere wenn es um hochqualifiziertes Personal in Technik und Naturwissenschaften geht. Die Aufgabe des Staates besteht darin, die Qualität der Institutionen, die Rechtsstaatlichkeit und eine größere Verlässlichkeit der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen zu sichern, da potenzielle Investoren die Effektivität der Verwaltung in allen Westbalkanländern als niedrig eingestuft haben.

Ein weiterer wichtiger Faktor für Investitionsentscheidungen ist die Spezialisierung der Volkswirtschaften. Im Falle Serbiens ist die Spezialisierung in der Produktion überdurchschnittlich, aber die Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie die Spezialisierung auf Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung sind unterdurchscnittlich.

ES BEDARF EINES NEUEN WACHSTUMSMODELLS

Die Regierungsvertreter von Serbien haben in der Konferenz versichert, dass Serbien neben Maßnahmen zur Energieeinsparung auch an einer Diversifizierung der Versorgung arbeitet, um diese möglichst stabil zu gestalten. Der Bau einer Gaspipeline nach Bulgarien wird mit Unterstützung der Europäischen Investitionsbank umgesetzt, um die Abhängigkeit des Landes von russischem Gas zu verringern. Gleichzeitig werden die Gasspeicherkapazitäten in „Banatski Dvor“ erweitert.

Das Ministerium für Bergbau und Energie hat einen Erlass für sozial benachteiligte Verbraucher vorbereitet, der die Senkung der Stromrechnung für etwa 10.000 am stärksten gefährdete Haushalte vorsieht. Daneben wurde ein Programm zur Steigerung der Energieeffizienz in Haushalten durch die Subventionierung des Ersatzes von Dächern und Installation von Solarmodulen zur Energieerzeugung gestartet. In diese Projekte sollen in den nächsten Jahren zwischen 600 und 700 Millionen Euro investiert werden.

Serbien arbeitet auch an Projekten zum Ersatz von Kohle durch erneuerbare Energieen. Das zuständige Ministerium hat 30 Projekte im Wert von rund 13 Milliarden Euro vorbereitet; wichtige Partner bei der Umsetzung sind die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die Weltbank und die Europäische Investitionsbank.

Serbien hat eine Chance für ein innovativeres Wachstumsmodell, das auf Digitalisierung und den Grundsätzen der grünen Wirtschaft beruht, waren sich die Unternehmen einig. Die heimische IT-Branche kann in diesem Prozess ein guter Partner sein. Für diese Branche, in der über 80 % der Unternehmen im klassischen Outsourcing für ausländische Kunden sind, und entsprechend nur rund ein Fünftel eigene Produkte entwickelt, ist es notwendig, sich auf Produkte mit hoher Wertschöpfung zu spezialisieren.

Auch das Zentrum für digitale Transformation der Wirtschaftskammer Serbien leistet erhebliche Unterstützung für die heimische Wirtschaft, vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen. Das Zentrum stellt im Auftrag des Wirtschaftsministeriums in jährlichen Unterstützungsprogrammen einen nicht rückzahlbaren Zuschuss von bis zu 6.000 Euro sowie die Dienste zertifizierter Berater für KMU zur Verfügung. Eine Kammer-Umfrage zeigte, dass Unternehmen, die am Programm beteiligt waren, 94 % ihrer Ziele erreicht haben. Parallel dazu entwickelt die Serbische Wirtschaftskammer Aktivitäten des Zentrums für Kreislaufwirtschaft, um die Energieeffizienz in heimischen Unternehmen zu steigern, Abfälle in der Produktion zu reduzieren und Abfälle womöglich weiterzuverarbeiten. Für den Erfolg dieses Konzepts seien Reformen in der Ausbildung notwendig, mit dem Ziel, Experten in einer Green Eonomy auszubilden, die ganz anders funktioniert als die klassische, hob die Kammer hervor.